Zwischen Hauptstädten

Ein Reisebericht Mid-Atlantic von Washington nach New York

Natürlich sollte man Washington DC mal gesehen haben. Kaum eine andere Stadt außerhalb Europas ist so bedeutsam und so symbolbeladen. Und New York City? Diese Stadt steht sowieso ganz oben auf der Reise-Wunschliste für sehr viele Menschen und ist auch beim dritten oder vierten Besuch noch genauso spannend wie beim ersten Mal. Nun ist die Megalopolis namens BosWash, also der gewaltige Ballungsraum an der Ostküste, nicht unbedingt das beste Pflaster für einen Roadtrip, jedenfalls nicht für einen der entspannten Art. Weil wir unserer zehnjährigen Tochter aber sowohl die Hauptstadt der USA als auch die selbsternannte Hauptstadt der Welt zeigen wollten, entschieden wir uns genau dafür.

Washington und eine kleine Entdeckung in Virginia

Die erste Station ist Washington. Unser Hotel ist das Courtyard by Marriott am Dupont Circle. In der Umgebung liegen einige Botschaften und bei den Wohnhäusern stehen Fahrzeuge mit Diplomatenkennzeichen in den Einfahrten. Es ist geradezu unfassbar heiß in diesen Tagen und was als gut halbstündiger Spaziergang Richtung Weißes Haus und National Mall geplant war, wird schnell zu einer unheimlich schweißtreibenden Angelegenheit. Ein Drugstore, ein gut sortierter Bücherladen und eine Saftbar werden dank ihrer Klimaanlagen zu willkommenen Zwischenstopps. Die Orientierung fällt dank des übersichtlichen Schachbrettmusters der Straßen – von Ost nach West sind die Straßen aufsteigend nummeriert und von Süd nach Nord aufsteigend nach Buchstaben benannt – sehr leicht. Dank dieser Systematik kann man problemlos mal hier abbiegen und mal dort, die Orientierung geht dabei nicht verloren. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass in Washington die meisten der Sehenswürdigkeiten nah beieinander liegen. Das Kuppelgebäude, in dem der Kongress untergebracht ist, liegt auf einer Achse mit dem Washington Monument und dem Lincoln Memorial. Dazwischen liegt die National Mall, eine langgestreckte Grünanlage mit vielen Schatten spendenden Bäumen. Rechts und links davon liegen die Smithsonian Museen.

Zum Lincoln Memorial kehren wir später am Abend, als es schon dunkel ist, nochmal zurück und das erweist sich als Glückstreffer. Denn wo man tagsüber kein Foto machen kann, weil immer hunderte Menschen durchs Bild laufen, hat man die beeindruckende Statue am Abend fast ganz für sich allein und von den Stufen des Denkmals aus hat man einen tollen Blick über die National Mall. Stichwort Fotos: An der Adresse 1600 Pennsylvania Avenue kommt man zwar nahe heran ans Weiße Haus, aber da hat man immer den Zaun im Bild. Bessere Perspektiven gibt es mit Zoom auf der anderen Seite von der Ellipse aus, der großen Grasfläche hinter dem White House. Als Highlight des Aufenthalts in Washington entpuppt sich aber ein Ausflug auf die andere Seite des Potomac. Über die Arlington Memorial Bridge kommen wir nicht nur zum berühmten Nationalfriedhof, sondern auch zum Pentagon. Das riesige Gebäude ist von einem ebenso riesigen Parkplatz umgeben und in einer Ecke davon befindet sich das Mahnmal zum Gedenken an den Anschlag vom 11. September 2001, als eines der entführten Flugzeuge hier zum Absturz gebracht wurde. Mit seiner unaufdringlichen, zurückhaltenden Gestaltung ist dieses Mahnmal das gefühlvollste seiner Art, das wir kennenlernen durften.

Überraschendes Highlight Baltimore

Unsere nächste Station heißt Baltimore. Von der unmittelbaren Nachbarschaft der beiden Städte auf der Karte darf man sich nicht täuschen lassen, der Weg kann zu ungünstigen Zeiten sehr lange dauern. Über Baltimore war in den letzten Jahren einiges an Negativschlagzeilen zu lesen, doch von solchen Dingen ist am Inner Harbor nichts zu sehen. Das ehemalige Hafenbecken ist das Aushängeschild der Stadt und man merkt, dass Baltimore sich darum bemüht, dass das auch so bleibt. Die Spazierwege sind blitzblank und die frei zugänglichen Sportfelder sind nicht nur gut genutzt, sondern auch in einem hervorragenden Zustand. Auch unser Hotel liegt hier und aus den Panoramafenstern des Renaissance Harborplace geniessen wir einen tollen Ausblick auf die Szenerie. Rechts blicken wir auf die USS Constellation, ein Museumsschiff aus dem 19. Jahrhundert, das mehrere Kriegseinsätze hinter sich hat. Gleich links von uns liegt das National Aquarium, dessen wirklich gut gemachte Ausstellung und mehrere Stockwerke hohe Aquarien auf jeden Fall einen Besuch wert sind.

Das schönste Erlebnis unseres Aufenthalts in Baltimore ist aber der Besuch eines Baseballspiels. Vom Hotel aus können wir problemlos zu Fuß hinüber zum Oriole Park at Camden Yards kommen. Das Stadion ist eines der schönsten im Land und auch für uns ist dieses Stadion etwas Besonderes, obwohl wir schon mehrere in den USA besucht haben. Ein ehemaliges Lagerhaus wurde in das Gesamtkonzept eingebunden und am Stadion entlang zieht sich eine Straße, in der sich die Fans vor dem Spiel treffen. Generell ist der Besuch einer Sportveranstaltung eine tolle Sache, um in den amerikanischen Lifestyle einzutauchen, in Baltimore lohnt es sich aber ganz besonders.

Die Chesapeake Bay und eine gewaltige Neptun-Statue

Von Marylands Hauptstadt aus führt unser Weg danach erstmal nach Süden an die Chesapeake Bay. Virginia Beach heißt unser nächster Übernachtungsort. Auf dem Weg passieren wir die gewaltigen Militäranlagen in dieser Gegend – im benachbarten Norfolk befindet sich die größte Marinebasis der Welt. Insgesamt wirkt diese Region ein wenig eng und überlastet, es gibt kaum offene Flächen, dafür dichte Bebauung und viel Verkehr. Auch in Virginia Beach selbst werden wir diesen Eindruck nicht ganz los, wir sind allerdings auch während der Hauptreisezeit im Sommer hier. Es gibt zwar einen breiten, kilometerlangen Sandstrand und direkt dahinter den Boardwalk, auf dem man hervorragend spazieren, Rad fahren oder skateboarden kann, aber diese Bereiche sind auch fast immer gut gefüllt, vor allem rund um die imposante Neptun-Statue, die zu einer Art Wahrzeichen der Stadt geworden ist. In den ersten zwei, drei Blocks vom Strand aus reiht sich Restaurant an Restaurant, dazwischen finden sich mehrere Hotels. Die parallel zum Strand verlaufende Straße kommt da schnell mal an ihre Kapazitätsgrenze, so dass es tagsüber oft nur im Schritttempo vorangeht. Insgesamt ist Virginia Beach ein typischer Strandurlaubsort, wie man ihn so oder so ähnlich auch in Spanien finden könnte.

Solche Touristenorte sind nicht so unser Ding, daher ist niemand traurig, als wir uns wieder auf den Weg machen. Die Fahrt nach Ocean City führt über das einzigartige Konstrukt der Chesapeake Bay Bridge-Tunnel auf die Delmarva-Halbinsel. Diese Meisterleistung der Ingenieurskunst erstreckt sich über insgesamt 37 Kilometer und besteht aus drei Brücken, von denen zwei jeweils 14 Kilometer lang sind und dazwischen zwei Tunneln, die auf eigens dafür aufgeschütteten, künstlichen Inseln beginnen. Dazwischen fährt man kilometerlang über das Meer und so kann sich auch in dieser dicht besiedelten Gegend so ein bisschen das Roadtrip-Feeling einstellen.

Von den wilden Pferden über New Jersey nach Manhattan

Ocean City ist nicht wesentlich bemerkenswerter als Virginia Beach, aber es hat ein echtes Highlight direkt vor der Tür. Nicht weit von der Stadt liegt Assateague Island, eine langgezogene Atlantikinsel mit Sandstränden und Wäldern. Zum Baden ist es an diesem Tag zu windig, aber wir fahren mit dem Auto durch den gleichnamigen State Park und treffen an vielen Stellen auf die heimlichen Stars der Insel, die Assateague-Ponys. Diese Tiere als Wildpferde zu bezeichnen, wäre wahrscheinlich ein wenig zu weit gegriffen, aber sie können sich frei bewegen und das tun sie auch. Am Strand beobachten wir, wie ein Besucher nur durch den energischen Einsatz seines Handtuchs dafür sorgen kann, dass eines der Tiere seine Nase aus den mitgebrachten Vorräten herauszieht. Allzu nahe kommen sollte man den Ponys allerdings nicht, sie verstehen sich gut aufs Austreten und Beißen, wenn es ihnen zu bunt wird. Zumeist aber grasen sie friedlich zwischen den Dünen und sorgen so für ein ganz besonders Stranderlebnis. Die Insel ist aber auch abgesehen von den Pferden eine echte Empfehlung, zum Beispiel weil man am Strand einfach nur ein paar Minuten laufen muss, um zu einem Flecken zu kommen, den man ganz für sich allein haben kann.

Anschließend geht es dann für uns nach New York, genauer gesagt nach New Jersey. Wir haben angesichts der steilen Zimmerpreise in Manhattan beschlossen, einmal mit einem Hotel außerhalb zu versuchen. Freiheitsstatue Das sollte sich übrigens als wirklich gute Entscheidung herausstellen. Das Holiday Inn Meadowlands in Carlstadt, New Jersey ist zwar sicher nichts für Hotelfans mit hohen Ansprüchen an die Umgebung, aber es spart mehr als $100 am Tag im Vergleich zu ähnlichen Unterkünften in New York. Der Bus hält direkt vor der Tür, kostet nur ein paar Dollar und braucht etwa eine Dreiviertelstunde bis zur Penn Station mitten in Manhattan. Die Fahrpläne sind ein wenig schwer verständlich, daher sollte man sich bei der Ankunft gleich genau vergewissern, wann der letzte Bus zurück geht und wo er abfährt.

Über New York ist überall alles gesagt worden. Man liebt es oder man hasst es und man kann Wochen in der Stadt verbringen, sich dabei nur auf die eigenen Interessen konzentrieren und trotzdem noch nicht alles gesehen haben. Ich selbst bin diesmal zum fünften Mal in New York und würde nie behaupten, die Stadt zu kennen. Doch diesmal soll es darum gehen, unserer Tochter einen ersten Eindruck vom Big Apple zu verschaffen und so bleibt es beim üblichen Touristenprogramm für Erstbesucher: Ein Spaziergang über die Brooklyn Bridge, einmal hinauf auf das Empire State Building, der Times Square. Dort besuchen wir Madame Tussaud’s, was allgemein ganz in Ordnung ist, aber auch nichts, woran man noch wochenlang wehmütig zurückdenkt. Schöne Momente erleben wir im Bryant Park, einer kleinen Grünanlage hinter der Public Library, wo man wunderbar für einige Minuten entspannen kann – immerhin erreicht der Schrittzähler auf unseren Handys an diesem Tag neue Rekordwerte. New York zeigt sich verlässlich wie immer: Laut, aufgeregt, hektisch und zugleich unendlich faszinierend und unvergesslich beeindruckend.

So ist Manhattan am Ende natürlich ein Highlight dieser Reise, wie könnte es anders sein. Im Gedächtnis bleiben aber vor allem andere Momente zurück. Vor allem Baltimore und Assateague Island sind Orte, die wir ohne Weiteres empfehlen können. Und tatsächlich: Ein Roadtrip an der Ostküste, das funktioniert, wenn sich auch das Gefühl der grenzenlosen Freiheit hier oft ganz gut versteckt hält.