Im Land der trockenen Hitze

Ein Reisebericht über eine Rundreise in Arizona

„It’s a dry heat“. Dieser Spruch begleitet uns durch ganz Arizona. Er steht in Bars an der Wand, er steht auf Schlüsselanhängern im Souvenirshop und auf Autoaufklebern an Pickups. Manchmal ist daneben das freundlich dreinblickende Skelett eines Menschen gezeichnet, der offenbar im kargen Schatten eines Kaktus verdurstet ist. Das geflügelte Wort ist so etwas wie die Standardantwort der Arizonans, wenn sich Besucher von außerhalb zu den manchmal abenteuerlich anmutenden Temperaturen im Bundesstaat äußern. 100 Grad Fahrenheit, also knapp 38° C, sind eigentlich der Normalfall während der Sommermonate, auch 110 oder 115 können es mal werden. Aber eben: die Luft hat nur einen geringen Feuchtigkeitsgehalt und das macht diese Werte tatsächlich deutlich erträglicher als andernorts.

Phoenix, die Metropole

"Welcome to the Valley of the Sun" hatte in großen Buchstaben an der Wand des Flughafens von Phoenix gestanden, an dem wir gestern angekommen waren. Jetzt, am nächsten Morgen, bin ich schon sehr früh aufgestanden, weil der Jetlag mich nicht länger hat schlafen lassen. Ich mache ein paar Schritte durch die Nachbarschaft des Hotels und entdecke die Temperaturanzeige einer Apotheke, die zwischen Celsius und Fahrenheit hin und her wechselt. 41° C stehen da. Es ist noch nicht mal 8 Uhr. Allerdings scheint die Sonne auch direkt auf das Thermometer.

Phoenix ist über viele Jahre geradezu explosionsartig gewachsen. Im Jahr 1970 haben hier gut 580.000 Menschen gewohnt, heute sind es über eine Million mehr. Die Geschichte der Stadt begann erst 1867, daher darf man natürlich keine wirklich historischen Sehenswürdigkeiten erwarten und bis heute gibt nicht viel, was man unbedingt mal gesehen haben muss. Doch diesen Mangel an spektakulären Sehenswürdigkeiten macht die Region ohne Weiteres wieder wett. Ein wirklich gut zu vertragendes, warmes Klima trägt etwas dazu bei, die recht entspannte Art der Menschen hier ebenso und vor allem die Umgebung. Die Stadt ist beinahe rundum von Bergketten umgeben, die dem Stadtbild einen passenden Rahmen geben. Bei Dämmerung fahren wir auf einen dieser Berge, den South Mountain, von dem aus wir einen herrlichen Blick über Downtown Phoenix haben. Mit der untergehenden Sonne über der Stadt als Motiv wird die Speicherkarte hier oben schnell voll.

Tagsüber nehmen wir das Auto, um Phoenix und sein Umland ein wenig zu erkunden. Rund um Phoenix liegen etliche Städte wie Tempe oder Glendale, die ihrerseits genug Einwohner haben, um als Großstadt durchzugehen. Dort gibt es fast ausschließlich endlose Reihen von Wohnsiedlungen zu sehen, viele davon erkennbar noch ziemlich neu. Glendales Highlight ist das in der Sonne glitzernde und ein wenig raumschiffartig wirkende Stadion, in dem Phoenix‘ NFL-Team spielt und Scottsdale hat unglaublich viele Golfplätze. Bemerkenswert finden wir Sun City. Diese Community ist in den 1960er Jahren als Alterswohnsitz für Rentner mit anfänglich nur einer Handvoll Einfamilienhäuser entstanden. Daraus sind im Laufe der Zeit mehr als 35.000 Einwohner geworden, die weitaus meisten davon sind älter als 65. Die Atmosphäre hier ist diesem Umstand entsprechend. Hier huschen die Eichhörnchen nicht über die Straße, sondern sie gehen gemächlich. Alles ist ruhig, Hektik ist hier ein Fremdwort. Wenn es irgendwo ein Rentnerparadies gibt, dann sieht es wohl genauso aus. Nur ein paar Kilometer weiter sind wir dann wieder in Phoenix und plötzlich bemerken wir, was die Stadt von anderen amerikanischen Metropolen unterscheidet. Die Straßen sind genauso breit wie anderswo, die Gebäude sind genauso hoch und sehen genauso aus, aber irgendwie läuft hier alles ein bisschen ruhiger ab. Suchtpotenzial hat Phoenix nicht unbedingt, aber wohlfühlen kann man sich hier auf jeden Fall.

Der Norden Arizonas: Naturgeschichte und Naturwunder

Wenn man von Phoenix aus nach Norden fährt, dann kann man zusehen, wie sich draußen die Landschaft verändert. Vom heißen Zentrum aus steigt das Landschaftsbild immer weiter, während die Temperaturen zurückgehen. Den deutlichsten Unterschied machen aber die Pflanzen. Während man in Phoenix ein paar Kakteen und ansonsten hauptsächlich flache Sträucher sieht, sind es hier oben auf einmal richtige Bäume, fast ausschließlich von Sorte Nadelbaum. Ein bisschen sieht es hier tatsächlich schon aus wie in Colorado oder vielleicht sogar im Harz, auf jeden Fall gar nicht so, wie man sich Arizona gewöhnlich so vorstellt.

Noch bemerkenswerter werden die Bäume dann in der Nähe von Holbrook. Die Gegend hier macht einen teilweise unwirklichen Eindruck, auf jeden Fall ist sie weitestgehend menschenleer. Alle paar Meilen kommt mal eine Tankstelle mit angeschlossenem Shop, aber nicht in der Hochglanzversion, wie man sie von stark frequentierten Straßen kennt; sondern in der Variante, in der Gürtel aus Schlangenhaut angeboten und einzelne Gurken aus dem Fass als Reiseproviant verkauft werden. Der Petrified Forest Nationalpark passt insofern perfekt in diese Gegend. Er hat nicht das eine, herausragende Highlight, sondern eine wunderbare Landschaft, interessante indianische Felszeichnungen und noch interessantere versteinerte Baumstämme. Diese sind mit ihrer glitzernden Oberfläche für sich genommen schon spannend anzuschauen, doch als ein Ranger uns erklärt, dass keiner dieser Baumstämme, die kreuz und quer auf der Fläche liegen, jünger als 200 Millionen Jahre ist. Wirklich mit den Gedanken greifen kann man diese Information nicht, aber es wird zumindest klar, warum man hier überall darauf aufmerksam gemacht wird, dass das Mitnehmen von Fossilien als schwere Straftat betrachtet wird und warum die Park Rangers sich das Recht vorbehalten, auch Taschenkontrollen vorzunehmen. Das hier sind einzigartige, unwiederbringliche Schätze der Naturgeschichte, die vielleicht nicht spektakulär wirken, es aber fraglos sind.

Atemberaubende Naturgeschichte, das ist das Stichwort für unseren nächsten Stopp. Mehr als 5 Millionen Jahre soll der Colorado River gebraucht haben, um den Grand Canyon ins Gestein zu graben, 447 Kilometer lang, bis zu 29 Kilometer breit und bis zu 1800 Meter tief. Vielleicht sind diese Zahlen die einzige Möglichkeit, einen Eindruck zu vermitteln von diesem Naturwunder, denn es ist unmöglich, das Gefühl zu beschreiben, das einen ergreift, wenn man sich langsam der Stelle nähert, ab der man nach unten sehen kann. Das hier ist mehr als eine tiefe Schlucht, mehr als ein steinernes Naturdenkmal. Der Anblick ist schlicht unbeschreiblich und auch wenn wir gar nicht viel Zeit hier verbringen, nur ein paar Meter nach unten gehen und auch keinen Hubschrauber-Rundflug über dem Grand Canyon machen, sind diese Momente und diese Blicke nach unten so überwältigend, dass ich mir sofort sicher bin, sie nie wieder vergessen zu können.

Tucson und der Süden: Das Beste von Arizona

Phoenix ist eine nette Stadt und der Grand Canyon ein fast schon berauschender Anblick, doch der Teil Arizonas, der mir am meisten ans Herz gewachsen ist, ist der Süden rund um Tucson. Tucson selbst, die zweitgrößte Stadt Arizonas, ist für sich selbst betrachtet nicht übermäßig auffällig, mal abgesehen von der deutlich sichtbaren Vielfalt kreativer Ideen in der Interpretation lateinamerikanischer Küche. Aber sobald wir das innere Stadtgebiet verlassen, breitet sich vor uns Arizona genau so aus, wie man es sich vorstellt. Hügelige, steinige Landschaften, auf denen Kakteen wachsen und in denen man anhand des aufgewirbelten Staubs erkennen kann, wo sich irgendein Tier bewegt. Klapperschlangen und Skorpione gehören hier zu den täglichen Begegnungsmöglichkeiten; bevor man im Freien Sachen aufhebt, prüft man zunächst einmal, ob vielleicht eine unliebsame Überraschung darunter lauert.

Unser wohl liebster Moment dieser Reise entsteht bei einem Ausflug zum Sabino Canyon. Der Canyon liegt in den Santa Catalina Mountains, einem Gebirgszug, der für den Hintergrund zum Stadtbild von Tucson sorgt und ist ein Ort, den die Einheimischen aufsuchen, um ein bisschen zu wandern, Rad zu fahren oder einfach zum Entspannen. Es ist ein wunderbar ruhiger Ort und an diesem Tag wird er auch nicht von vielen Leuten besucht. Der Shuttlebus bringt uns und eine Handvoll anderer vom Parkplatz aus in den Canyon. Wir können uns selbst aussuchen, wo wir aussteigen wollen und da die anderen Passagiere ganz nach oben wollen, steigen wir schon ein bisschen weiter unten aus und finden tatsächlich einen Platz ganz für uns allein. Und was für ein magisch-schöner Platz das ist. Über vier, fünf Kaskaden fällt ein kleiner Wasserfall in einen natürlichen Pool. Baden unter freiem Himmel bei gut 32°C Außentemperatur, dazu ein Picknick, wem würde das nicht gefallen? Sabino Canyon wird in diesen Stunden zu einem der schönsten Orte, die wir in Amerika je besucht haben. Erst am Abend laufen wir unter einem tiefroten Himmel langsam zurück zum Parkplatz und unserem Mietwagen.

Dieser bringt uns am nächsten Tag, dem letzten, bevor wir zurück nach Phoenix zum Flughafen fahren müssen, noch zu einem weiteren empfehlenswerten Ausflugsziel in der Region Tucson. Das Arizona-Sonora Desert Museum ist eine echt interessante Mischung aus Zoo, Museum und botanischem Garten, wie wir sie sonst noch nirgends gefunden haben. Auch hier haben wir wieder Glück, dass nur sehr wenige Menschen gleichzeitig mit uns dort sind – was damit zu tun haben könnte, dass die Hitze heute eben nicht trocken, sondern reichlich schweißtreibend ist. Die Einrichtung ist sozusagen ein abgezäuntes Areal inmitten derselben Natur, die es abbildet. Ein paar Tiere, die nur wenige Meter neben dem Zaun in der Wildnis leben, habe hier großzügige und naturbelassene Gehege und beim Anblick des Berglöwen denke ich unwillkürlich an den Fußweg zurück zum Auto am vorigen Abend im Sabino Canyon. Von den Tieren ist nicht viel zu sehen, weil sie sich bei dieser Hitze erst abends aus ihren Behausungen herausbewegen. Also lernen wir, wie viele verschiedene Pflanzen diese so abweisend erscheinende Umgebung hervorbringt und sehen einige prächtige Exemplare der Saguaro-Kakteen, die nur ein paar Kilometer entfernt ihren eigenen Nationalpark haben. Beim Rausgehen kann uns nicht mal mehr die etwa handgroße Spinne schockieren, die vor uns über den Weg läuft – so ist das eben in Arizona. Der Bundesstaat hat sich in den vergangenen zehn Tagen einen Platz in unseren Herzen erobert und bleibt bis heute meine Nummer Eins in den USA.